Das Kreativitätspotential des einzelnen Mitarbeiters erschließen
- zur Stärkung des Teams.
FRANKFURT. Alle ernstzunehmenden Konkurrenten betreiben heute
nahezu dasselbe: Kostenreduktion, schlanke Organisation, kundenorientierte
Leistungen und ähnliches mehr. Angesichts des härter werdenden
Wettbewerbs in allen Branchen sind die Unternehmen deshalb
mehr denn je auf die Kreativität eines jeden Mitarbeiters
angewiesen. Doch Kreativität wird heute zunehmend in Gruppenarbeit
beziehungsweise in Workshops gezielt aktiviert. Dagegen scheint
der Ansatz noch wenig verbreitet zu sein, dem einzelnen Mitarbeiter
Denkwerkzeuge oder Kreativtechniken zusammenzustellen, um
das individuelle Kreativitätspotential unmittelbar zu erschließen.
An diesem Punkt setzen die Methoden des kreativen Denkens
von Dr. Edward de Bono an. Sie verbessern wirkungsvoll die
Flexibilität des einzelnen im Denken und schaffen damit die
Basis für eine verbesserte individuelle Kreativität, die dann
der Teamarbeit zugute kommt. Unternehmen wie Siemens und OBI
haben inzwischen dieses Potential erkannt. Siemens zum Beispiel
hat seit 1996 „mehr als 1.000 Mitarbeiter in den de Bono-Denktechniken
schulen lassen”, erklärt der Leiter der Abteilung für Innovation
und Controlling im Bereich Kommunikationsendgeräte, Klaus
Werner, selbst Trainer für kreatives Denken, in einem Gespräch.
Und Utho Creusen, bei OBI verantwortlich für Personal, Organisationsentwicklung,
Kommunikation, Revision und Controlling, berichtet: „Bei OBI
wurde die Kreativitätstechnik Die sechs Hüte des Denkens im
Herbst 1996 eingeführt. Durch Seminare wurden zuerst die Führungskräfte
der OBI-Systemzentrale in dieser Technik geschult. Im November
1996 folgte eine Vermittlung dieser Kreativitätstechniken
auf der nationalen Tagung für alle Führungskräfte der OBI-Märkte.
Alle 500 Mitarbeiter der OBI-Systemzentrale wurden im September
1997 im Rahmen eines dafür veranstalteten Quality Days mit
den Sechs Hüten vertraut gemacht.” Soll der einzelne Mitarbeiter
aktiviert werden, bieten sich die de Bono Thinking Tools an.
Sie sind empfehlenswert, wenn folgende acht Kriterien erfüllt
werden sollen:
- Es sind Werkzeuge bereitzustellen, die in der Praxis in
einfacher Weise einsetzbar sind.
- Der Gebrauch dieser Werkzeuge muß einübbar sein, wie man
den Gebrauch von Hammer und Säge übt, wenn man ein guter
Zimmermann werden will.
- Die Aufgaben, an denen trainiert wird, müssen so wählbar
sein, daß zunächst die richtige Anwendung der Methoden im
Vordergrund stehen kann.
- Die ausgewählten Methoden müssen auch für den Einsatz
in partnerschaftlichen Diskussionen mit Lieferanten und
Kunden brauchbar sein.
- Für ein Unternehmen, das global agiert, ist es vorteilhaft,
wenn die Methoden weltweit Anwendung und Akzeptanz finden
können.
- Methodenkompetenz auch beim kreativen Denken und eine
Kultur der Selbständigkeit sollen gefördert werden.
- Es soll insbesondere der Prozeß der Erzeugung von Ideen
verbessert werden, denn man kann davon ausgehen, daß im
Durchschnitt das Verhältnis von neuer Idee zu realisierter
Innovation zwischen 50 : 1 bis 60 : 1 beträgt, je nach Sachgebiet
und Branche.
- Es wird Benchmark-getriebenes Lernen gefordert. Best-Practica-Ansätze
sind Voraussetzung.
In vielerlei Hinsicht stellen diese Methoden Best-Practica
dar. De Bono ist ein international führender Experte für kreatives
Denken und die unmittelbare Vermittlung von Denktechniken.
DuPont gehört zu den Unternehmen, die seit langem mit den
Methoden des kreativen Denkens arbeiten und beste Ergebnisse
erzielen. David Tanner, ehemaliger Leiter des Center for Creativity
& Innovation bei DuPont, beschreibt in seinem 1997 in den
USA erschienenen Buch „Total Creativity in Business and Industry”,
auf welche Art Produkte durch Einbeziehung der de Bono Methoden
systematisch entwickelt wurden. Bei IBM wurde 1990 das Seminar
„Die sechs Hüte des Denkens” Bestandteil der Grundausbildung
für 40.000 Manager weltweit. Derjenige, der noch nichts von
den Hüten in den Farben weiß, rot, schwarz, gelb, grün und
blau gehört hat, wird sich fragen, was sechs farbige Hüte
mit Kreativität zu tun haben. Sie symbolisieren unterschiedliche
Aspekte im Denkprozeß. Mit ihnen läßt sich Kreativität wirkungsvoll
stimulieren. Im Seminar wird das mentale Auf- und Absetzen
der Hüte zur Verbesserung der Flexibilität im Denken in praktischer
Weise geübt. Durch Anwendung der Hüte in unterschiedlichen
Reihenfolgen kann für verschiedene Aufgabenstellungen die
jeweils optimale Vorgehensweise gefunden werden. Besprechungen
lassen sich so oft auf die Hälfte der sonst üblichen Zeit
verkürzen. Vorhandene Intelligenz wird dadurch um ein Vielfaches
besser genutzt. Um einen nachhaltigen Lerneffekt zu erreichen,
sollten alle Maßnahmen nach dem T.E.A.M. - Konzept (Train,
Enable, Applicate, Maintain) durchgeführt werden. Kern dieses
Ansatzes ist die Unterstützung des Mitarbeiters bis zur vollen
Umsetzung des Gelernten in der täglichen Praxis. Dem Vorgesetzten
fällt dabei als Captain und Coach eine bedeutende Schlüsselrolle
zu. Der Inhalt der Methoden des kreativen Denkens wird vielfach
über Metaphern und Symbole vermittelt. So sind insbesondere
zwei Effekte zu erreichen: Erstens lassen sich leicht Absicht
und Verhalten voneinander trennen. Das wirkt sich positiv
gerade in einer interkulturellen Gruppe aus. Zweitens wirken
die Symbole wie Icons, wie wir diese vom Computer her kennen.
Man kann sie anklicken, und ein ganz spezieller Prozeß mit
vielen Verzweigungen wird aufgerufen. In ähnlicher Weise wirken
Symbole, wie sie zum Beispiel ein schwarzer oder ein roter
Hut darstellen. Alle am Gespräch Beteiligten wissen, welcher
Denkprozeß nun ablaufen soll. Das vereinfacht die Verständigung,
minimiert Mißverständnisse und bringt die Kommunikation auf
eine gemeinsame Ebene. Viele Trainingsteilnehmer wenden das
Denkinstrument sechs Hüte inzwischen in Besprechungen an,
um schnell Ergebnisse zu erzielen. Insbesondere gestandene
KVP- und Kaizen-Manager fügen ihrem Repertoire gerne diese
Methode hinzu. Andere benutzen die Hüte bei Telefonkonferenzen
als wirkungsvolle Kreativitäts- und Kommunikationshilfe. Einige
machen mit Hilfe der Hüte ihre Korrespondenz für den Leser
verständlicher und ausgewogener, indem sie jeden Aspekt eines
Themas separat und in fokusierter Weise beleuchten. Die OBI
Erfahrungen mit den Sechs Hüten beschreibt Creusen mit den
Worten: „ Die Resonanz der Mitarbeiter war positiv. Der strukturierte
und zugleich kreative Umgang mit Ideen innerhalb von Sitzungen
und Meetings fand auf allen Seiten Zuspruch. An die Einführung
der Sechs Hüte - Technik schloß sich fast nahtlos die Einführung
des Vorschlagswesens TIP (Tolle Ideen produzieren) an. Einreichen
können die Mitarbeiter ihre Verbesserungsvorschläge mittels
eines Formulars entweder schriftlich oder per Intranet. Das
Formular ist gemäß der Vorgehensweise der Sechs Hüte - Technik
aufgebaut: Das Verbesserungspotential wird erkannt (weißer
Hut), dann wird die eigene Idee beschrieben (grüner Hut),
unterteilt in Vorteile/Stärken (gelber Hut), aber auch Schwächen/Nachteile
(schwarzer Hut). Als letzter Schritt werden erste Vorschläge
für eine Umsetzung (blauer Hut) vom TIP Einreicher benannt.
Vorteile dieses TIP-Scheinaufbaus sind zum einen, daß die
Mitarbeiter bereits mit der Denkweise der Sechs Hüte vertraut
sind und mit der Handhabung des Vorschlagswesens keine formalen
Verständnisschwierigkeiten haben, zum anderen erlaubt diese
Methode, schneller neue Ideen in einer bedeutend höheren Qualität
zu entwickeln beziehungsweise zu bewerten. Jeder TIP wird
von der Führungsebene, die diese Idee betrifft, innerhalb
einer festgelegten Zeitspanne geprüft und dann entweder weiterverfolgt
oder abgelehnt. Eine zentrale Stelle innerhalb des Unternehmens
dokumentiert alle Ideen. Bei einer erfolgreich umgesetzten
Idee erhält der Mitarbeiter eine Prämie.” Im Intranet einer
Firma können die Hüte einen zusätzlichen Optimierungsparameter
darstellen. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter in Europa am
Ende seines Arbeitstages seinem amerikanischen Kollegen einen
Vorschlag weitergibt mit der Bemerkung „ I`d like to have
your yellow hat and your black hat on this proposal”, wird
der Gesprächspartner in den USA vielleicht zu den gewünschten
Hüten noch einen grünen Hut hinzufügen und das ganze Paket
an den Mitarbeiter im japanischen Partnerunternehmen weiterleiten
(Remote Teams). Am nächsten Morgen befinden sich dann auf
dem PC in Europa Informationen und Bemerkungen neben denen
gleich vermerkt ist, welche Art des Denkprozesses zu dem jeweiligen
Ergebnis geführt hat. Die Methoden des kreativen Denkens stellen
somit Instrumente dar, die zunächst einmal das Kreativitätspotential
eines jeden einzelnen aktivieren. Darüberhinaus liefern sie
willkommene Effekte für die Kommunikation gerade zwischen
Kollegen unterschiedlicher Nationalitäten. Den Begriff Continuous
Innovation verwenden I. Nonaka und H. Takeuchi in ihrem Buch
„The Knowledge-Creating Company”. Das Augenmerk der beiden
Autoren gilt nicht dem Wissen als solchem, sondern der Schaffung
von Wissen. Für sie ist das in Worten und Zahlen faßbare Wissen
nur die Spitze eines Eisbergs. Sie sehen das Wissen hauptsächlich
an als etwas Implizites, das sich oft nur sehr schwer mitteilen
läßt..., tief verankert in der Tätigkeit und der Erfahrung
des einzelnen sowie in seinen Idealen, Werten und Gefühlen.
Kreatives Denken kann Geburtshelfer sein, der individuelle
Erfahrungen dem formalen sprachlichen Ausdruck zugänglich
macht, neue Kombinationen von Wissen, neue Ideen ans Licht
des Tages bringt und damit das Kreativitätspotential der Human
Resource erschließt. Der Lernprozeß ist deshalb von großer
Bedeutung. Obi-Chef Creusen: „Für alle Mitarbeiter besteht
fortlaufend die Möglichkeit, Die Sechs Hüte Methode im Rahmen
von Seminaren zu erlernen und durch Folgeseminare wie Laterales
Denken zu vertiefen,” und er fügt erläuternd hinzu: „Bei OBI
ist die Nutzung kreativer Techniken Teil einer übergreifenden
Philosophie, die auf der Grundlage einer gesunden Streitkultur
Betroffene zu Beteiligten macht.”
Der Autor, Franz J. Linnenbaum, ist zertifizierter de Bono-Trainer.
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