Europäisches Jahr der Kreativität
und Innovation (2009)
Wie können deutsche Betriebe davon profitieren?
Am 7. Januar wurde in Prag das European Year of Creativity
and Innovation (EYCI, wie es in der Abkürzung heißt)
offiziell eröffnet. In der Presse wurde bisher kaum darüber
berichtet. Dabei muss gerade in der jetzigen Krise dieser
Initiative große Bedeutung beigemessen werden.
Die EU setzt mit dem EYCI neue Akzente, von denen auch deutsche
Betriebe in vielfältiger Weise profitieren könnten.
Das Europäische Jahr der Kreativität und Innovation
soll, so die offizielle Begründung, für die zentrale
Rolle von Kreativität und Innovation als Schlüsselkompetenzen
für die persönliche, soziale und wirtschaftliche
Entwicklung sensibilisieren. Durch diese besondere Betonung
von Kreativität und Innovation stellt die EU die Weichen
für Europas Zukunft vor dem Hintergrund des globalen
Wettbewerbs, indem sie das kreative und innovative Potenzial
in uns allen fördert. So weit der offizielle Text.
Von Weichenstellung ist die Rede. Was bedeutet das?
In Deutschland werden durch die Exzellenzinitiative des Bundes
und der Länder Eliten mit Geld ausstattet, damit kreative
und systematisch arbeitenden Köpfe exzellente Ergebnisse
liefern.
Die EU geht davon aus, dass dieses alleine in Zukunft nicht
mehr reicht und dass es möglich und notwendig ist, das
kreative Potenzial in uns allen zu fördern.
Um das zu erreichen, baut das EYCI auf der Forderung des
lebenslangen Lernens (LLL) auf. Jeder soll angeleitet und
in die Lage versetzt werden, sein kreatives Potenzial zu aktivieren.
Das EYCI weicht damit von mehreren in der Industrie vertretenen
Auffassungen ab, nämlich dass jemand von Geburt her entweder
ausreichend kreativ ist, oder er ist es nicht und zweitens,
dass man mit Sicherheit viele erfolgreiche Innovationen erhält,
wenn man nur genügend Kapital zur Verfügung stellt.
In zweierlei Hinsicht stehen wir jetzt an einem Scheideweg,
und das Timing des EYCI ist aus verschiedenen Gründen
nahezu ideal. In der aktuellen Krise tun Investoren sich schwer
Risiken, die mit Innovationen nun einmal verbunden sind, einzugehen.
Die Weltbank hat gerade darauf hingewiesen, dass mit einem
Ende des Konjunkturverfalls kurzfristig nicht zu rechnen ist.
Darüber hinaus haben Statistiker berechnet, dass in den
kommenden Jahrzehnten dem deutschen Arbeitsmarkt einige Millionen
Erwerbstätige weniger zur Verfügung stehen werden;
im Jahr 2050 könnten es 15 Millionen weniger sein. Jeder
Erwerbstätige wird deshalb in absehbarer Zeit auch im
Hinblick auf Anzahl und Qualität kreativer Ideen immer
mehr leisten müssen, wenn Produktivität und Innovation
in gleichem Maße wie bisher gesteigert werden sollen.
Grundlage dafür ist kreatives Denken, das heute in kaum
eine Schule gelehrt wird. Doch, schon den Schülern muss
gezeigt werden, wie Prozesse des kreativen Denkens ablaufen,
wie man seine Wahrnehmung trainiert und seine Vorstellungskraft
verbessert, damit Konsequenzen und Folgen ins Auge gefasster
Handlungsmöglichkeiten realitätsnah abgeschätzt
werden können. Wie groß das Defizit an kreativem
Denken ist, haben uns in jüngerer Vergangenheit auch
die Parlamentarier mehrfach vor Augen geführt, wenn sie
Gesetzen zustimmten, die mit schneller Nadel, auf der Basis
fauler Kompromisse und ohne die nötige Weitsicht gestrickt
waren und von ordentlichen Gerichten schnell wieder gekippt
wurden.
In der Industrie wird mit dem Thema Kreativität in ähnlicher
Weise leichtfertig umgegangen. Das deutsche Arbeitnehmer-Erfindungs-Gesetz
(ArbNErfG) von1957 geht davon aus, dass man nur genügend
finanzielle Anreize geben muss, um Kreativität freizusetzen.
Es will Erfinder angemessen an den Erträgen beteiligen,
die einem Arbeitgeber durch eine Erfindung zufließen.
Befürworter erwarten, dass dieses Gesetz auch weiterhin
Deutschlands Industriebetriebe zu Betrieben der Ideen machen
wird, weil der zu erwartende Geldsegen die Ideen der Mitarbeiter
in den technischen Bereichen sprudeln lasse. Sorgt das Gesetz
wirklich für den notwendigen Zustrom an verwertbaren
Ideen? Die Meinungen sind geteilt. Gegner halten es für
kontraproduktiv. Sie räumen zwar ein, dass sich Dank
dieses Gesetzes die Anzahl der beim Patentamt neu eingereichten
Erfindungen auf hohem, weltmeisterlichem Niveau befindet,
weisen aber darauf hin, dass, um nicht teilen zu müssen,
Mitarbeiter sehr häufig versuchen, alleine zu erfinden.
Das widerspricht den Erfordernissen einer Wissensgesellschaft,
in der das Wissen und die Erfahrung Vieler in neue Ideen einfließen
müssen. Sie machen auch geltend, dass zwar viele Ideen
angemeldet werden, in der Realität aber nur relativ wenige
wirtschaftlich erfolgreich sind.
Erkennbar wird die Strategie der EU, das Potenzial in uns
allen durch Lernprozesse zu fördern, schon an der Wahl
der Botschafter (Ambassadors of the Year), darunter für
den Bereich der Ideen-Kreativität (in Abgrenzung zur
künstlerischen Kreativität) Professor Dr. Edward
de Bono, international eine führende Autorität auf
dem Gebiet der Vermittlung von Methoden des kreativen Denkens.
In seinen Vorträgen benutzt de Bono gerne das Bild eines
gefesselten Menschen und bemerkt dazu, dass es für jeden
erkennbar ist, dass ein an den Armen gefesselter Mensch nicht
Violine spielen kann. Wenn man diesem Menschen nun die Fesseln
abnimmt, kann er dann automatisch dem Musikinstrument exzellente
Klänge entlocken? Jeder wird sofort dem Schluss zustimmen,
dass das alleine nicht ausreicht. Es gehört Übung
dazu, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Dasselbe gilt für
kreatives Denken. Unternehmen in vielen Ländern, so die
Erfahrung von Dr. de Bono, lassen diese Erkenntnis außer
Acht, wenn sie ihre Mitarbeiter auffordern, die Krawatten
abzunehmen, sich auf den Boden zu setzen und kreativ zu sein.
Gilt dieses auch für deutsche Unternehmen?
Im Econ Verlag erschien 1997 das Buch „Der große
Innovationstest“. Darin werden Faktoren untersucht und
gewichtet, die in der Vergangenheit zu Innovationen geführt
haben. In den meisten Fällen haben die so genannten „Macher“
für Erfolgsinnovationen gesorgt. Wen wundert es da, dass
Kreativitäts-Trainern oft entgegengehalten wird: „Ideen
haben wir genug, ein Training der Kreativität benötigen
unsere Manager nicht, sie sollen managen!“ Es kann deshalb
nicht überraschen, wenn durch die Studie herausgefunden
wurde, dass Kreativtechniken „nicht in den Kreis der
wichtigen Erfolgsfaktoren“ einbezogen werden konnten.
Dieses ist nur schwer zu verstehen, wenn man daran denkt,
dass der Vater des Brainstorming, Alex Osborn, schon vor mehr
als 50 Jahren Maßstäbe gesetzt hat, wenn er seine
Erfahrungen bei General Electric folgendermaßen charakterisiert:
„Diejenigen, die zur Anwendung von Kreativtechniken
an Kursen teilgenommen hatten, waren in der Lage, 94% mehr
gute Ideen zu produzieren als diejenigen, die nicht in der
glücklichen Lage waren, zu Kursen geschickt worden zu
sein“. Vorständen von Unternehmen wird diese Tatsache
doch nicht unbekannt sein?
Dass man in der Lage ist, durch Training kreativer Techniken
die individuelle Innovationseffizienz (iIE, umgesetzte neue
Ideen je Mitarbeiter) zu steigern, dafür gibt es auch
heute noch ermutigende Vorbilder.
Die holländische Bank ABN AMRO hat bei dem 1999 gestarteten
„Golden Idea Programm“ die Eieruhr als Symbol
für das Ziel ihrer Exzellenz-Offensive gewählt.
Der Sand im oberen Teil der Eieruhr symbolisiert dabei zunächst
das Potenzial der Mitarbeiter, das als Rieselgut unten in
der Eieruhr in Innovationen umgesetzt wird. Damit im übertragenen
Sinne die Engstelle in der Eieruhr durchlässiger wird
und das Wissen der Mitarbeiter schneller zu neuen Ideen führt,
sah das Programm im wesentlichen zwei Maßnahmen vor:
Verbesserung des Innovations-Klimas und Vermittlung von Kreativtechniken.
ABN AMRO konnte durch das Programm die Anzahl der eingereichten
Ideen innerhalb eines Jahres verdoppeln und die Ausbeute an
verwertbaren Ideen signifikant steigern.
Bei Siemens vermitteln Mitarbeiter eines „Product Definition
Teams“ Methodenkenntnisse und wirken als Methodencoach,
um Entwicklungsteams in die Lage zu versetzen, selbstständig
Instrumente des kreativen Denkens anzuwenden. Nach dem Konzept
2+1 wird mit einem Moderator die Anwendung der Denkwerkzeuge
2 Tage lang geübt und nach 6 Wochen ist dann 1 Tag zur
Auffrischung vorgesehen.
Kehren wir zum „großen Innovationstest“
zurück. Der Autor gibt uns zum Wert von Kreativtechniken
eine weitere Information: „Starke Innovatoren haben
sie (die Kreativtechniken, Anm.) in der Hinterhand, wenn ein
Team sich festgefahren hat“. Weist das nicht eindeutig
auf den Wert der Instrumente des kreativen Denkens hin?
Die vorgetragenen Beispiele lassen erkennen, dass sich individuelle
Innovationseffizienz (iIE) steigern lässt, wenn Mitarbeiter
Denkwerkzeuge kennen lernen und angeleitet werden, diese anzuwenden.
Betriebe können vom Europäischen Jahr der Kreativität
und Innovation profitieren, wenn deren Manager die Vorteile
eines im kreativen Denken trainierten Verstandes erkennen
und Maßnahmen zur Steigerung des kreativen Outputs ihrer
Mitarbeiter in die Wege leiten, am besten nach dem Motto des
Europäischen Jahres der Kreativität und Innovation:
visionär-kreativ-innovativ (imagine-create-innovate).
Franz Josef Linnenbaum ist freiberuflich tätig als Trainer
für die Anwendung von Erfolgs-Methoden des kreativen
Denkens. www.kreativitaet.de
Zitate und Beispiele sind dem Buch „Team Excellence
effizient und verständlich“, vom Autor dieses Beitrages,
entnommen (Vieweg 2002).
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